1. Falling From The Sun
„EVERGREY haben auf ihrem neuesten Werk keinen Stein auf dem anderen gelassen.“ So kündigt das Label vollmundig „Theories Of Emptiness“, die mittlerweile 14. Studioplatte der Göteborger an. Bei solchen Statements wird der geneigte Rezensent natürlich sofort skeptisch. Ob die Band mit dieser Aussage eigentlich selbst d’accord geht, erfahrt Ihr im Interview mit Gitarrist Henrik Danhage. Ob wir dem zustimmen können, oder ob die Truppe um Tom S. Englund eigentlich eher „more of the same“ präsentiert, das könnt Ihr den folgenden Zeilen entnehmen. Nehmen wir es vorweg, natürlich sind EVERGREY auch auf „Theories Of Emptiness“ noch EVERGREY. Das beweisen sie mit dem Opener „Falling From The Sun“, der gleichzeitig auch die erste Single zum Album darstellt, recht deutlich. Der Song trägt den Untertitel „Ominous Chapter Two“, soll damit die Verknüpfung zum Song „Ominous“ vom letzten Album verdeutlichen, wobei der Zusammenhang hier eher thematischer (Mobbing und der persönliche Umgang damit als Betroffener) als musikalischer Natur sein dürfte. Allerdings: Die Nummer ist mit ihrem einprägsamen Chorus direkt ein erster kleiner Hit. Apropos Refrains: Hier agieren die Schweden noch ein wenig treffsicherer als zuvor, was vor allem durch Reduzierung auf das Wesentliche erreicht wird. Insgesamt wirken die Songs feiner ausgearbeitet, effektiver – ohne dabei aber das Thema Komplexität völlig auszublenden. Vielmehr werden Wege konsequent beschritten. Dazu kommt eine ungewohnte Vielseitigkeit, EVERGREY verlassen sich weniger auf gewohnte Pfade als sonst. Ein Beispiel: Die zweite Single „Say“ wird von einem Riff getragen, dass man eher im Prog-Rock erwarten würde, passenderweise begleitet von einer Hammond-Orgel, dann aber von einem bandtypischen Refrain klar als EVERGREY-Song eingeordnet. Extrem stark. Insbesondere was Riffs angeht, verlassen sich die beiden Gitarristen nicht so häufig auf das für die Band typische, eher modern anmutende Shredding, sondern probieren mehr aus, was möglicherweise auch Englunds Betätigung bei REDEMPTION geschuldet sein könnte. Außerdem erwähnenswert: Der von Fans gerne mal gescholtene Keyboarder Rikard Zander zeigt sich hier von seiner allerbesten Seite, denn seine Sounds fallen dieses Mal viel songdienlicher aus, sind weniger stark in den Vordergrund gemischt, was dem Material extrem zugute kommt. Nicht wirklich im Vordergrund steht übrigens auch die Stimme von Jonas Renkse, der sich in „Cold Dreams“ mit Englund am Mikro abwechselt, aber dabei gar nicht unbedingt nach ihm selbst klingt. Wer nämlich einfach ein paar typische KATATONIA-Lines erwartet, liegt falsch. Klar gesungen ähnelt seine Stimme plötzlich frappierend der von Englund, wenn beide (!) zwischenzeitlich sogar growlen, wird es noch schwieriger sie auseinanderzuhalten. Ja, richtig, Renkse growlt hier mal wieder, vermutlich das erste Mal seit sehr vielen Jahren. In jedem Fall ein interessanter Ansatz für ein Duett und ohnehin ein weiterer verdammt starker Song. Ausfälle? Praktisch keine. Selbst der Titeltrack, eigentlich eher ein besseres Outro, erschließt sich nach ein paar mal hören. Es ist schwer in Worte zu fassen warum, aber „Theories Of Emptiness“ fesselt sofort, nutzt sich aber trotzdem kaum ab. Einziger minimaler Kritikpunkt: Ein super catchy Hit wie „Call Out The Dark“ fehlt dieses Mal, da die eingängigen Ideen aber geschickter auf die Songs verteilt sind, fällt das nicht wirklich ins Gewicht. Theories Of Emptiness“ dreht nicht an vielen Stellschrauben, aber dafür genau an den richtigen. Das Cover Artwork zeigt bereits, wohin die Reise auch musikalisch geht: Im Vergleich zu den letzten, oft überladen wirkenden Kunstwerken, ist das Bild von Mattias Norén geradezu minimalistisch und auf das wesentliche reduziert. Gleichzeitig ist diese Platte aber eine der vielseitigsten in der jüngeren Geschichte von EVERGREY. Macht keinen Sinn? Hört selbst rein. Denn das ist unbedingt empfehlenswert. Traten Englund und Co. auf den letzten Album ein wenig auf der Stelle, wenn auch auf sehr hohem Niveau, könnte „Theories Of Emptiness“ die Weichen für eine hochinteressante Zukunft der Band stellen. In jedem Fall ist es ein bockstarkes, extrem ausgereiftes Werk geworden, das nicht nur Fans der gepflegten schwedischen Melancholie unbedingt anchecken sollten. (METAL.DE 9 / 10)
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