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Frei.Wild - Immer Unter Feuer



Release Info: 2025 - Rookies & Kings - Full Length
Band Info: Italien - 2001 - Deutschrock
Bewertung: 7,5


Songs:

1. Intro
2. Für Immer Untrennbar
3. Gott Und Wir Selbst
4. Montag Ist Ein Scheissvirus
5. Die Lösung Vom Problem
6. Immer Unter Feuer
7. Fürchte Dich Nicht
8. Versteck Dich Oder Bleib
9. Weck Mich Auf
10. Alles In Allem
11. Scheisse Für Die Welt
12. Loyalität
13. Ich Kann Auf Die Fresse Geben
14. Wenn Alles Bricht

15. Wenn Alles In Trümmern Liegt
16. Oben Befiehlt, Unten Folgt
17. Alles Ist Weg
18. Du Bist Ein Idiot
19. Warum?
20. Kämpfer Werden Bis Zum Ende Gehen
21. Wir Kentern Nicht
22. Ich Will Leben
23. Für Meine Freiheit
24. Liebe Bis Zum Tod
25. Jenseits Von Milliarden
26. Ich Geb Euch Allen Nur 'N Fuck
27. Und Dafür Liebe Ich Dich
28. Jedes Glück Braucht Auch Sein Lied

Wie bereits in unserer News-Sektion angekündigt, folgt nun die Besprechung der neuen FREI.WILD-Platte "Immer unter Feuer". Vorab sei der geneigte Leser auf eine mögliche Überlänge dieses Artikels hingewiesen – darauf und auf den Umstand, dass der Verfasser womöglich seine "Ambition" wahr machen könnte, sich derart um Kopf und Kragen zu schreiben, dass ihn nach dem Genuss dieser Zeilen möglicherweise nur noch wenige leiden mögen. Warum aber nimmt ein unabhängiger (und by the way überaus liebenswerter) Schreiberling derlei Konsequenzen billigend in Kauf? Ist es der Fluch einer altersbedingten Borniertheit? Die unglückliche Frontalbegegnung mit einer Ziegelmauer oder schlichte Synapsenverkrampfung im präfrontalen Cortex?

Ich werde es euch verraten: es ist der Geist des zugrundeliegenden Genres und überhaupt der Gesamtheit aller laut schallernden Gitarrenkünste: dem Deutschrock, dem Punkrock, dem Heavy Metal oder einem seiner grob geschätzt siebeneinhalb Milliarden Untergenres. Die Integrität. Das Bestreben, nicht wie die Fahne im Wind zu sein. Für seine Überzeugungen einzustehen. Deshalb hole ich es mir raus, gerade FREI.WILD mit einem überlangen Artikel zu bedenken, sie für musikalische Wohltaten zu honorieren, ihnen aber auch zu widersprechen, wenn ich es für notwendig halte. Weil ich nicht alles unreflektiert nachblubbere, was mir zu Ohren kommt. Ein mehr oder minder einfacher Grundsatz – deswegen säge ich keine Strommasten, drehe keine Kreuze um, fresse keine Besserverdienenden auf und feiere auch nicht achtlos jedes Lied einer Band, in deren Texten ich mich mit hoher Quote wiederfinde und die mir – wie wohl den allermeisten Fans – auf den steinigen Pfaden des Lebens hin und wieder eine Hilfe war.

Nun aber zum Album und den prophezeiten Lorbeeren: musikalisch wirkt "Immer unter Feuer" zunächst wahnsinnig abwechslungsreich. Die Lieder reichen von brachial-direktem Deutschrock ohne Schnörkel ("Gott und wir selbst", "Immer unter Strom", "Jenseits von Milliarden") über moderne Kompositionen mit dezenter Progressivität ("Kämpfer werden bis zum Ende gehen", "Ich gebe euch allen nur 'n fuck") bis hin zu verspielten Tracks mit gewollten Stilbrüchen und Ausbrüchen in fremde Gefilde ("Weck mich auf", "Für meine Freiheit", "Scheiße für die Welt" – ist das noch Deutschrock oder schon Hartschlager?). Daneben gibt es wie immer eine Reihe emotionaler bis balladesker Songs, die zuweilen etwas dick auftragen ("Fürchte Dich nicht", "Jedes Glück braucht auch sein Leid"), dafür aber das andere Mal wirklich unter die Haut gehen ("Loyalität", "Ich will leben").

Die Gesangsmelodien und Chöre betreffend klingen einige Lieder liebreizend nach den HOSEN (die ja bekanntlich auch gern unter Strom stehen), was einem durchaus das ein oder andere Schmunzeln abringt. Fernab dieser amüsanten Reminiszenzen ist das Gesamtpaket musikalisch gut gemacht und unterhaltsam arrangiert. Ein Gros der Lieder, darunter alle Vorabsingles, entfaltet fast schon unanständige Grower- und Ohrwurmqualitäten und überhaupt scheint die Band einen Push erfahren zu haben, auf dessen Bugwelle alles unbeschwerter und energetischer klingen mag und alle Schaffensphasen inkl. der bissigen Werke früherer Jahre gebührend zur Geltung kommen. An Gassenhauern dürfte es nach diesem Album also nicht mangeln, zudem dürfte insgesamt für jeden was Rockbares am Start sein.

Textlich überwiegen nach dem autobiographischen "20 Jahre – Wir schaffen Deutsch.Land" wieder Geschichten aus dem Leben und daraus abgeleitet positive Impulse, die dem Hörer Hoffnung und Kampfgeist vermitteln sollen. Es fällt schwer, hierbei aus 24 Liedern Highlights hervorzuheben – was meinen Part anbelangt, stehen in dieser Liga "Für immer untrennbar", "Die Lösung vom Problem", "Kämpfer werden bis zum Ende gehen", "Ich will leben" und die letzte Albumsingle "Wenn alles in Trümmern liegt" (Fun Fact: das zugehörige Video wurde in Philipp Burgers frisch geputzter Güllegrube gedreht) hoch im Kurs. Die quintessenziellen Elemente bleiben wie so oft Zusammenhalt und das eigene Durchhaltevermögen, der Umgang mit persönlichen Krisen und das Kämpfen und Einstehen für seine Träume – immer verbunden mit der Zuversicht, die Herausforderungen des Weges mit den richtigen Menschen um sich zu meistern.

Neben den erwähnten Texten mit "erwachsenen" Themen beweisen die Brixener auch standesgemäß ihren Sinn für Humor. Die in diesem Kontext präsentierte Prolligkeit trifft mit der nötigen Portion Selbstironie immer ins Schwarze – ob es nun um den standesgemäßen Groll gegen den Wochenbeginn ("Montag ist ein Scheißtag", mit einer Drecksau von Hookline) oder um die altersbedingte Leistungsdegression im Trinksport geht ("Alles ist weg"). Breitbeinige Rock'n'Roll-Attitüde trifft auf die Einsicht, dass vierzig mehr als zwanzig ist – und wieder höre ich SLIME's Tex singen und fühle mich belustigt und ertappt zugleich. Hat seinen Charme.

Soweit, so gut. Bisher zu diesem Punkt der Albumbesprechung waren die Lieder harmlos und ihre Inhalte könnten theoretisch von jeder anderen Band kommen, doch FREI.WILD wären nicht FREI.WILD, wenn sie nicht den ein oder anderen Tabubruch wagten und ihren Drang nach Provokation und Anecken auslebten. So teilt das Quartett auf dieser Platte stellenweise forsch gegen den woken Zeitgeist aus ("Gott und wir selbst", "Versteck dich oder bleib") und trifft damit einen multiplen Nerv – Fans und Sympathisanten werden vor Freude im Dreieck springen, Kritiker hingegen einen frischen Schwall Wasser auf ihre Mühlen bekommen. Wahrscheinlich ist genau das gewollt und gehört auch zum Geschäftsmodell, wenn man bedenkt, dass ein Genre wie der Deutschrock besagte Reibung irgendwo braucht. Das finde ich jetzt nicht problematisch, im Gegenteil stieg gerade "Gott und wir selbst" mit seiner aufgepumpten in-your-face-Attitüde und dem lässigen Neunziger-Jahre-ONKELZ-Flair schnell zu einem meiner Albumfavoriten auf. In diesem Kontext sei zugleich nochmal betont: wer mit den Texten der Band insgesamt vertraut ist und vielleicht sogar Herrn Burgers Buch gelesen hat, dürfte dem Quartett mitnichten verwerfliche Ab- oder Ansichten unterstellen. Von daher sei ihnen das bisschen Provokation gegönnt, wenngleich ich es für eine souveräne Alternative hielte, es stattdessen besser zu machen als andere und einfach mal keinem offensiv vor den Koffer zu scheißen. Aber wie schon erwähnt steht im Tabellenbuch der lauten Gitarrenmusik der Deutschrock in der Tabelle der Reibkoeffizienten ganz weit unten.

Beim standesgemäßen Medienbashing "Scheiße für die Welt" verstehe ich wie so oft im Deutschrock nicht, wogegen konkret sich der Anschiss eigentlich richtet, geschenkt. Weit mehr Probleme macht mir am Ende das von Fans und Band als Flaggschiff geadelte "Oben befiehlt, unten folgt". Zuerst habe ich mir gedacht "Och nö, nicht noch ein Corona-Song" – weil es eine unrühmliche Scheißzeit war, an die niemand mehr erinnert werden will. In der Track-By-Track-Radioshow hebt Philipp Burger darauf ab, sich nicht blindlings einer Bewegung anzuschließen und dumm deren Agenda nachzublöken – sei es Staat, Kirche oder der Fußballverein. Dem ist nichts entgegenzusetzen, aber wenn das die Kernaussage des Songs ist, dann ist sie im Text ziemlich unglücklich formuliert. Auf eine Weise, die viel mehr nach dem ollen Corona-Diktatur-Narrativ als nach Kritik an einer toxischen Gruppendynamik klingt. Ich unterstelle und glaube nicht, dass der Text derart gemeint ist, doch kann man ihn nur allzu leicht in dieser Art interpretieren (oder missbrauchen) und das macht die Sache – auch in Verbindung mit der Reichweite des Mediums FREI.WILD – äußerst pikant bis potenziell gefährlich. Vor diesem Hintergrund gehen mir daher Vergleiche mit dunklen Vergangenheiten aller Art und ein völliges Ausblenden handfester Probleme mit Verschwörern, Wissenchaftsleugnern und gegenseitigen Anfeindungen einen Schritt zu weit. Daher mahne ich, immer daran zu denken: "Aus großer Kraft [bzw. Reichweite] folgt große Verantwortung" – wäre aber eine tolle Gelegenheit, dem guten alten Sturmbringer die Möglichkeit zu einem Interview einzuräumen, oder?

Man möge mir das Gemecker nachsehen, aber mit den Lyriken welcher Band ist man schon zu 100% im Reinen? In puncto "unangebrachte Vergleiche" beziehen FREI.WILD nun beileibe keine Monopolstellung. Das macht es jetzt nicht besser, da derlei Vergleiche niemals wirklich angebracht sind. Aus dem Alter für sowas bin ich lange raus, egal ob nun FREI.WILD, WIZO oder was auch immer drauf steht. Doch gibt es im Umkehrschluss auch keinen Grund, in diesem Punkt mit zweierlei Maß messen. Dieses leidige Thema endlich abgehakt, gibt es nach Abzug der Kritik mit "Immer unter Feuer" eine reife Leistung von Album auf den Plattenteller. 27 Lieder plus Intro (auf der Doppel-CD), die mit Abwechslungsreichtum und Verspielheit, mit Passion und krachenden FREI.WILD-Riffs und -Melodien, einem tollen Sound und viel Liebe fürs Detail an die starke Phase von "Feinde deiner Feinde" bis "Rivalen und Rebellen" anknüpfen und es schaffen, standesgemäße Genrethemen in frischem Gewand zu verpacken. Alles in allem also ein tolles Album, das die Genremesslatte hoch legt und für jeden was im Gepäck hat...und ein Review, das wahrscheinlich niemandem so wirklich gefällt. Habe ich zu viel versprochen?



Tour und neues Album! Umstrittene Band Frei.Wild macht weiter | TAG24

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